Wohnjournal 01/2018 - page 5

Die Oma von nebenan
Liebe Mitglieder,
bei mir nebenan wohnt eine alte Dame.
Meine Freunde und ich nennen sie immer Oma,
obwohl es nicht unsere Oma ist. Oma erzählt
uns sehr viel und wir hören ihr sehr gerne zu. Für
sie ist das Erzgebirge der schönste Fleck auf
dieser Erde. Sie ist stolz auf ihre einzigartige
Heimat. In der Schule erfahre ich und meine
Freunde nicht soviel darüber.
In den Jahren vor 1990 erzählt sie uns, war es
im Erzgebirge mit der Belieferung von Waren
nicht ganz so einfach.
Der Erzgebirger war jedoch erfinderisch und be-
schaffte sich das, was er benötigte. Sogar Süd-
früchte konnte man mit etwas Glück gleich mehr-
fach im Jahr kaufen, erzählt Oma.
Manchmal war es fast Zauberei, alles heranzu-
bekommen, erzählt sie uns. Es wurden schon
mal Hohlblocksteine gegen Zahngold getauscht,
wenn es erforderlich war. Es gab immer einen
Weg. Die Menschen in dieser Region hat das
sehr geprägt, sagt Oma.
Viele der jungen Leute sind weggegangen, weil
es hier nicht genügend Arbeit gab, erzählt sie.
Drei ihrer Enkelkinder auch. Zwei Enkel sind hier
geblieben.
Verfolgt man die Medien, so erfährt man fast täg-
lich vom Lehrermangel, von fehlenden Ärzten,
von nicht mehr vorhandenen Geldautomaten,
von fehlenden Einkaufsmöglichkeiten, ja vom
teilweise schwierigen Nahverkehr in den Orten.
Oma kennt sich aus, denn sie verfolgt die Presse
sehr genau.
Sie wundert sich, dass es soweit kommen konn-
te und man nicht früher etwas dagegen unter-
nommen hat.
Kritisch wird es für die gern hier lebende Oma
nun, wenn ein Arztbesuch ansteht, Geld benötigt
wird oder Lebensmittel gebraucht werden. Eine
Arztpraxis gibt es nicht in jedem Ort. Lebensmit-
tel kann die Oma, seit der letzte kleine Laden im
Dorf verschwunden ist auch nicht mehr kaufen.
Das die Oma Geld vom Automat im Ort holen
konnte, ja das ist schon paar Jahre her. Dafür
hat sie auch Verständnis, denn wozu braucht die
Oma Geld, wenn sie es nicht ausgeben kann.
Also liebe Oma, schnell dorthin, wo das alles
noch vorhanden ist. Natürlich in die 8 km entfern-
te Stadt. Doch wie kommt sie dorthin, fragt sich
die alte Dame. Morgen fährt doch kein Bus. Es
ist keine Schule und da fährt der Schulbus wie
sonst natürlich nicht. Vernünftige Leute verste-
hen das, schließlich rechnet sich das doch gar
nicht.
Also ruft die Oma schnell die Kinder und die zwei
Enkel an, die noch hier leben. Doch leider haben
die auch gerade keine Möglichkeit die nötige Zeit
für die Oma zu finden.
Dafür hat sie Verständnis. Für Oma sind nun die
8 km mit ihrem Rollator in die Stadt, zu Fuß aber
doch etwas weit. Es bleibt nur noch das Taxi!
Zum Glück kann die Oma nun zum Telefon grei-
fen und mit dem Taxi alles selber regeln. Wie
einfach das doch heutzutage für die „Alten“ in
der Gesellschaft ist.
Ohne Telefon wäre das früher nicht gegangen,
so schnell ein Taxi zu bekommen. Es wäre ein
richtiges Problem gewesen, sagt die Oma.
Nach einem langen und schweren Arbeitsleben,
wo sie so ganz nebenbei 4 Kinder groß gezogen
hat, ist Oma sehr zufrieden.
Welch ein großes Glück für die alte Dame, in die-
ser Zeit zu leben.
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